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Historische Rückblicke aus dem Stadtarchiv

Vor 100 Jahren ... (März 1914) Auszüge aus dem Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt

64. Jahrgang (1914)  (Rechtschreibung im Original)

04. März 1914
Heute vormittag 1/2 12 Uhr erfolgte im Rathause durch Herrn Bürgermeister Dr. Patz die feierliche Aushändigung des städtischen Ehrendiplomes für Treue in der Arbeit an Herrn Webermeister Christian Friedrich Beyer, Logenstraße 8, und die Knüpferin Frau Anna Marie Gränitz geb. Funke, Bahnstraße*1 35. Beide arbeiten über 25 Jahre für die Firma Emil Heidel, in deren Vertretung Herr Artur Heidel dem Akte beiwohnte. Zwei noch länger für diese Firma Arbeitende, die Herren Webermeister Friedrich August Otto, Silbergäßchen 6 und Julius Schaller, König-Albertstraße*2 31, die auch ausgezeichnet werden sollten, mußten krankheitshalber in ihren Wohnungen aufgesucht werden. Es erhielt Herr Schaller im Beisein des Herrn Artur Seidel das tragbare Ehrenzeichen sowie das städtische Ehrendiplom für Treue in der Arbeit, Herr Otto das tragbare Ehrenzeichen für Treue in der Arbeit, nachdem ihm das städtische Ehrendiplom bereits am Tage seiner goldenen Hochzeit (17. Januar 1914) überreicht worden war. Herr Schaller arbeitet seit fast 33 Jahren, Herr Otto seit 30 Jahren für die Firma Emil Heidel.

07. März 1914
Nachdem schon vor einiger Zeit an dem südlichen Teil der Schönburgstraße*3 das Schnittgerinne angebracht wurde, sind jetzt wieder Arbeiter damit beschäftigt, das Trottoir vom Grundstück des Herrn Thierfelder bis an das Grundstück des Herrn Wächter herzustellen. Es machen sich aus diesem Grunde umfangreiche Bodenveränderungen nötig und muss deshalb Erdareal, das dort erhöht über dem Straßenniveau liegt, abgetragen werden. Das überflüssige Land wird nach der Helbig-Wiese an der Schönburgstraße* 3 gebracht.

08. März 1914
Wie heute amtlich gemeldet wird, hat Se. Majestät der König genehmigt, daß der Vorstand unseres Amtsgerichts, Herr Oberamtsrichter Rößler, vom 1. Juli d. Jahres in gleicher Eigenschaft an das Amtsgericht Zwickau versetzt wird. An seine Stelle hier tritt von gleichem Zeitpunkt an Herr Landgerichtsrat Dr. Vogel in Chemnitz unter Verleihung des Titels und Ranges eines Oberamtsrichters. Herr Rößler bekleidet sein hiesiges Amt seit dem 1. Oktober 1904. Weite Kreise werden den verdienten Beamten nur ungern von hier scheiden sehen.

11. März 1914
Eine gemeine Tat wurde in der Nacht zum Montag im Hause der Witwe Müller auf der Aue verübt. Ein unbekannter Täter hat die eingewässerte Wäsche zweier Familien die im Garten und Waschhaus stand, im Hause herumgeschleudert und beschmutzt. Eine Hauslampe wurde in die Jauche geworfen und das Gartentor angegriffen. Man gewinnt den Eindruck, daß ein Racheakt vorliegt. Der Täter hat zu seiner verwerflichen Handlungsweise eine elektrische Taschenlampe benutzt, denn als einige dort wohnende Männer gegen 12 Uhr nach Hause kamen, wurden sie durch ein plötzliches Aufleuchten aufmerksam, legten aber diesem Vorgang keine Bedeutung bei.

Höchst rüpelhaft benahmen sich gestern abend zwei ungefähr 16-17 Jahre alte Burschen auf der Chemnitzerstraße*4. Sie balgten sich dort herum und demolierten dabei an einem Hause ein Kellerfenster. Als ein auf der Aktienstraße wohnender Fabrikarbeiter den Burschen diese Flegelei verbat, wurden sie ausfällig gegen diesen und führten gemeine Redensarten. Ja sie verfolgten ihn sogar durch die ganze Stadt bis zur Weinkellerstraße, ihn und seine Frau stark belästigend. Erst als man energisch mit Ohrfeigen und Polizei drohte, ließen die Burschen von dem Ehepaar ab.

15. März 1914
Ein Einbruch wurde heute nacht im Martin-Luther-Stift verübt. Ein bisher Unbekannter ist über die Umzäunung geklettert, fand durch ein offenstehendes Fenster des Schulhausbewahrungsraumes Eingang und begab sich in den Arbeitsraum der Kinder, wo er mit einer eisernen Zaunspitze ein Schreibpult aufwuchtete und seine Sparbüchse sowie eine an der Wand hängende Sammelbüchse aufbrach und entleerte, wobei ihm 2 Mark Einzelgeld in die Hände fielen. Der Einbrecher durchwühlte weiter einen Schrank, nahm daraus aber nichts mit, wandte sich vielmehr dem Fleischgewölbe zu, wo er 2 Pfund Speck und ebensoviel Wurst stahl und diese Ware in einem gleichfalls gestohlenen Marktnetz mitnahm. Die ganze Art und Weise des Einbruchs spricht dafür, daß der Dieb mit den Verhältnissen vertraut sein muss.

26. März 1914
Ein seltenes Jubiläum kann am 1. April Herr Buchbinder Otto Richter, wohnhaft Landgraffstraße 9*5, feiern. An diesem Tage vollenden sich 50 Jahre, daß Herr Richter in diesem Hause wohnt. Vor 50 Jahren zogen die Eltern Richters in dieses Haus. Nach deren Tode behielt Richter die Wohnung und hat dieselbe heute noch inne. Das Haus wechselte einige Male den Besitzer in diesem Zeitraum. Jetzt gehört es Herrn Eisendreher Max Winter.

31. März 1914
Zahlreiche Ehrungen wurden anläßlich der goldenen Hochzeit Herrn Oberlehrer i.R. Wilhelm Ernst Reichardt und seiner Gattin, einer geborenen Temper, zuteil. Herr Pfarrer Albrecht segnete das Jubelpaar, das sich noch körperlicher wie geistiger Frische erfreut, erneut ein und das Konsistorium ließ eine Ehrenbibel überreichen. Seit 43 Jahren wohnt Herr Reichardt hier, bis 1900 wirkte er an der Altstädter Schule als Oberlehrer und Stellvertreter des Direktors; 16 Jahre gehörte er dem Stadtverordneten-Kollegium an, etwa 6 Jahre lang war er dessen Vorsteher, auch wirkte er 7 Jahre lang im Kirchenvorstand mit. Das Jubelpaar besitzt 2 Söhne, von denen der eine Direktor der Straßenbahn in Duisburg, der andere Hüttendirektor in Barbe- Borbeck ist. Der erstgenannte wohnte der Feier im Elternhause bei. Um Stadt, Schule und Kirche hat sich der Jubelbräutigam gleicherweise verdient gemacht und das wird ihm die Allgemeinheit stets Dank wissen. Die Jubelbraut wirkte auch ersprießlich im Damenvorstand des Schubertstiftes mit.
*1 Bahnstraße – heute: Karl-May-Straße
*2 König Albertstraße – heute: Conrad-Clauß-Straße
*3 Schönburgstraße – August-Bebel-Straße
*4 Chemnitzerstraße – Pölitzstraße