Historische Rückblicke aus dem Stadtarchiv
Vor 100 Jahren ... (Januar 1916) Auszüge aus dem Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
66. Jahrgang (1916) (Rechtschreibung im Original)
04. Januar 1916
Mit weithin tönendem Glockengeläut hat nun das neue Jahr Einzug gehalten. Der Ernst der Zeit bannte jedes überlaute Treiben auf dem Markt und in den Straßen, und so entstand von selbst eine Silvesterstimmung, die sich der Lage völlig anpaßte. Meist wird man die Jahreswende im trauten Familienkreise verlebt haben, wo man allen den jetzt die Menschheit bewegenden Gedanken besser Ausdruck geben konnte als befände man sich in großer ernster Versammlung. So schied man denn vom alten Jahre in der Hoffnung, daß das neue Jahr eine baldige erfreuliche Wendung im Weltkriege bringen möchte. Im Hinblick auf das Wetter glaubt man sich jetzt eher in die Osterzeit versetzt, in den April mit seinen bösen Launen; straffer Wind jagte in diesen Tagen die Wolken am Himmel dahin, die oft ihr Naß auf die Erde ergossen; der Wärmemesser klettert zu einer Höhe hinauf, die man ganz selten im Januar beobachten kann: Heute z. B. zeigte er 12 Grad an! Das fördert zu unrechter Zeit das Wachstum in der Natur, und bekommen wir neuen Frost, der sicher nicht ausbleibt, so ist der Schaden um so größer.
08. Januar 1916
Die Stadt Hohenstein-Ernstthal hatte jedem der von hier ausgezogenen Kriegern ein Weihnachtspaket gesandt und ein Bildchen des malerischen Altmarktes im Winterschmuck beigelegt. Welche Freude damit bereitet wurde, läßt folgende Danksagung erkennen: „Besten Dank für Ihr schönes Paket, sehr erfreulich ist auch die Ansicht, man kann sich die Heimat wieder mal vor Augen führen.“
16. Januar 1916
Langfinger sind wieder einmal bei der Arbeit. In vergangener Nacht wurde dem Liebmannschen Geschäft, Ecke Bismark- und Moltkestraße, ein Besuch abgestattet, und zwar stieg der Dieb von da in den Laden, wo er die Kasse plünderte, die lediglich gegen 5 Mk. Wechselgeld enthielt. Die Fußspuren im Schnee lassen darauf schließen, daß der Dieb eine jugendliche Person ist. In einem anderen Falle wurde ein Mann erwischt, der jedenfalls schon seit längerer Zeit mit Erfolg bestrebt gewesen ist, trotz der hohen Lebensmittelpreise seine Wirtschaftskasse nicht allzu sehr zu belasten. Im Geschäft von Thams u. Gars, wo schon des öfteren Ladendiebstähle bemerkt wurden, konnte gestern ein Mann dabei abgefaßt werden, ein Paket Honig kaufen zu wollen, er habe zu wenig Geld einstecken – tatsächlich hatte er 14 Pfg. im Besitz – und wolle sogleich das fehlende holen. Er kam aber nicht wieder. Die Polizei stellte fest, daß es sich um einen hiesigen Einwohner handelt, der in guten Verhältnissen lebt; bei ihm wurde noch weiteres Diebesgut aus dem gleichen Geschäft gefunden. Für unsere Stadt ist der heutige Sonnabend wieder ein Tag trauriger Erinnerung, vollenden sich doch 30 Jahre, daß hier ein größeres Schadenfeuer zu verzeichnen war. Am 15. Januar abends gegen 8 Uhr entstand am jetzigen Teichplatz, an der Stelle, wo Ritters Gasthaus und das Haus des Herrn Max Reber steht, in dem Schuhmachermeister Riedel gehörigen Wohnhause Feuer.
Es griff schnell auf ein zweites Haus Riedels und auf das Haus des Fleischermeisters August Herbert über und äscherte die drei Häuser vollständig ein. Obdachlos wurden dadurch 8 zum Teil kinderreiche Familien, denen viele unversicherte Habe verbrannte. Eine damals eingeleitete Sammlung für die Brandgeschädigten ergab 304,53 M.
21. Januar 1915
Zu einer hiesigen Familie, deren am Feldzug teilnehmender Schwiegersohn seit dem 25. September v. J. vermisst wird, kam in diesen Tagen ein angeblich aus dem Felde kommender Soldat, der allerdings keine Uniform trug, und gab an, er könne Näheres über den vermißten Angehörigen machen. Dieser liege schwer verwundet und unfähig, zu schreiben, im Lazarett zu Aachen, woher auch er, so der Besucher, komme, um der Familie die besten Grüße des Schwiegersohnes zu übermitteln. Der Erzähler zeigte sich mit den Verhältnissen gut vertraut, und so schenkte man ihm vollen Glauben, freute sich außerordentlich, endlich den so lange Vermißten glücklich geborgen zu wissen, mußte aber schließlich doch die traurige Erfahrung machen, daß die ganze Erzählung Schwindel war. Zu welchem Zwecke der Mann dies Märchen erzählte, ist nicht recht ersichtlich, denn er lehnte jede Dankesbezeigung für seine Auskunft rundweg ab. Es handelt sich um einen aus Mittelbach gebürtigen, in Chemnitz wohnhaften Militär-Invaliden, der aber mit dem Kriege gar nichts zu tun hat. Es sei vor ihm gewarnt.
28. Januar 1915
Aus Anlaß des Geburtstages Kaiser Wilhelms hatte unsere Stadt heute reichen Flaggenschmuck angelegt. Erfreulicherweise wird mehr und mehr die Sitte geübt, neben den deutschen und sächsischen, auch die Farben unserer Verbündeten zu zeigen; so sieht man in schöner Zusammenstellung Flaggen und Fahnen in den österreichischen, den türkischen und auch bulgarischen Farben.
30. Januar 1915
Die Gründung einer Handwebergenossenschaft, von der in den letzten Tagen in interessierten Kreisen viel gesprochen wurde, ist nunmehr in einer gestern abend stattgefundenen, von Fabrikanten besuchten Versammlung erfolgt. An dem Unternehmen, das bereits am 1. Februar seine Tätigkeit aufnehmen soll, ist bekanntlich die Stadtgemeinde mit einer Einlage von 5000 Mark beteiligt, während Fabrikanten 18500 Mark aufgebracht haben, sodaß ein Betriebskapital von 23500 Mark vorhanden ist. Der Aufsichtsrat setzt sich aus den Herren Kommerzienrat Pfefferkorn, Kommerzienrat Reinhard, Bürgermeister Dr. Patz, Fabrikbesitzer Georg Layritz und Fabrikdirektor Petzold als Vertreter der Firma Halpert & Co. zusammen. Da das Unternehmen einzig und allein das Wohl der seit langer Zeit beschäftigungslosen Handwerker im Auge hat, wird, außer einer 4 v. H. Verzinsung des Betriebskapitals, von jedem Gewinn seitens der Gesellschafter abgesehen. Ueberschüsse sollen vielmehr der städtischen Unterstützungskasse überwiesen und zum Besten der Arbeitslosen und sonstigen Unterstützungsbedürftigen verwendet werden.