Historische Rückblicke aus dem Stadtarchiv
Vor 100 Jahren ... (September 1918) Auszüge aus dem Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
68. Jahrgang (1918) (Rechtschreibung im Original)
05. September 1918
In der gestrigen nichtöffentlichen Sitzung der Stadtverordneten wurde der Ankauf des bisher der Firma G. F. Beck gehörigen Hauses (Ecke Markt und Bismarckstraße) zum Preise von 60 000 Mk. beschlossen. Das Grundstück soll städtischen Zwecken nutzbar gemacht werden. Bei dem lebhaften Interesse, welches die Bürgschaft als Steuerzahler an der Gestaltung der städtischen Finanzen hat, wäre es angebracht gewesen, wenn die Frage des Ankaufes vorher öffentlich zur Diskussion gestellt worden wäre.
14. September 1918
Die Rodelhütte, in die schon vor einigen Wochen mehrere junge Burschen eingedrungen waren, wurde vor ungefähr vier Wochen erneut von Einbrechern heimgesucht, die nach Zertrümmerung von Fenstern und Läden auf dem Herd Kartoffeln, die sie vorher gestohlen hatten, kochten und auch sonst mehrfach Schaden anrichteten. Leider ist man ihrer bisher noch nicht habhaft geworden, doch kommen auch in diesem Fall junge Burschen in Betracht.
20. September 1918
Das Bethlehemstift im Hüttengrunde kann nunmehr auf ein 27jähriges Bestehen zurückblicken. Aus kleinen Anfängen ist diese Anstalt in der Höhe gewachsen. Wenn es anfänglich nur 30 Kinder gleichzeitig bei sich sah, so ist die Zahl jetzt auf über
200 gestiegen, und wenn 1891 im ersten Hause 61 Kinder aufgenommen wurden, so wird die Zahl im laufenden Jahre über 1200 betragen. Am Dienstag verließ die 5. Abteilung (235 Kinder) das Stift, um nach vierwöchiger Erholung gekräftigt ins Elternhaus zurückzukehren. Den Betrieb jetzt im Kriege aufrecht zu erhalten, ist der Nahrungsmittel wegen sehr schwierig gewesen. Das Stift beherbergte in diesem Jahre besonders viele Kinder aus Hohenstein-Ernstthal, Waldenburg und Glauchau, die meisten kamen aus Chemnitz und Umgebung, aber auch viele aus Dresden und den Leipziger Vororten. Trotzdem das Brot auch im Stift manchmal ausblieb oder knapp war und man nicht wußte, wie man die Kinder satt bekommen sollte, sind doch bei einzelnen Pfleglingen nach vierwöchiger Verpflegung anfallende Gewichtszunahmen beobachtet worden. Von der guten Waldluft wird ein in der körperlichen Entwicklung begriffenes, meist unterernährtes Kind nicht satt, dazu gehört eben doch noch viel mehr. Es ist für die Verwaltung des Bethlehemstiftes keine leichte Aufgabe, für Milch und sonstige nahrhafte Speisen für annähernd 200 Kinder zu sorgen. Zur Hebung des Allgemeinbefindens trägt viel die Regelmäßigkeit in Ruhe und Bewegung bei, auch die größeren Kinder müssen nach dem Mittagessen einige Stunden ruhen und wie die anderen jüngeren Kinder abends zeitig ins Bett. Die vorzügig eingerichtete Anstalt – ein großes Verdienst des Herrn Kirchenrats Siebenhaar – ist von unberechenbarem Wert für die Kinderwelt aus hiesiger Pflege. Die Stiftung des verstorbenen Kommerzienrats Reinhard hat mit ihren Freistellen zum ersten Male Hohenstein-Ernstthaler Kindern dienen können. Nächsten Sonnabend hält die 6. Abteilung mit 170 Kindern ihren Einzug in das Stift, die die letzten in diesem schweren Kriegsjahre sein werden. Das Waldhaus ist nicht mehr belegt worden. Wenn nicht die Regierung die Ernährung sichergestellt hätte, wäre es nicht möglich gewesen, das Stift in diesem Jahre lebensfähig zu erhalten. Gott wird nach diesen Nöten auch wieder leichtere Zeiten geben.
An Gerichtsstelle wurde heute im Wege der Zwangsvollstreckung das gegenwärtig herrenlose „Webermeisterhaus“ versteigert. Es war mit 23 780 Mk. zur Landesbrandkasse versichert und einschließlich der auf 2200 Mk. bewerteten Einrichtung auf 38 200 Mk. geschätzt. Herr Bierverleger Constantin Haubold in Oberlungwitz erwarb sich das Grundstück für den Wert der Hypotheken (20 000 Mk.) zuzüglich der bis jetzt aufgelaufenen Zinsen.
24. September 1918
Im hohen Alter von 86 Jahren starb am vorigen Freitag ein in allen Kreisen unserer Stadt hochgeschätzter Mann, George Michelet, der, obwohl nicht hier aufgewachsen, dennoch sich mit unserem Gemeinwesen so verwachsen zeigte, daß sein Leben und Wirken unter uns von Bedeutung war. Der Dahingeschiedene entstammt einer Emigrantenfamilie: Sein Großvater wanderte 1793 aus Frankreich nach Lübeck aus, das Michelets Geburtsstätte ist. Von dort ging er, von Beruf Dekorationsmaler, zunächst nach Waldheim und kam im Jahre 1858 nach hier. Im folgenden Jahre erwarb er das Haus Altmarkt 3, in dem er jetzt sein Leben beschloß, daß ihm neben vieler Freude auch ein gerüttelt Maß von Kümmernis brachte. Betätigte Georg Michelet sich im Verein mit den vor einigen Jahren verstorbenen Stadtrat William Zeißig in ersprießlicher Weise an der städtischen Armenpflege, so fand er auch Gelegenheit, sich im Vereinsleben besonders fördernd hervorzutun; Bürgererholung und Rosenverein erfreuten sich seiner regen Mitarbeit, die Freiw. Feuerwehr 1. Komp. und die Schützenkompanie Altstadt verlieren in ihm ihr hochgeachtetes Ehrenmitglied. Erst vor wenigen Wochen wurde dem Hochbetagten die schmerzliche Mitteilung, daß einer seiner Enkel, der Fliegerleutnant Horst Fauser, den Heldentod gestorben ist. Morgen Dienstag nachmittag 3 Uhr wird George Michelet auf dem Altstädter Friedhofe zur ewigen Ruhe gebettet.
28. September 1918
Am Donnerstag ist im Alter von 62 Jahren der Fleischerobermeister Herr Ewald Grabner nach kurzem Kranksein verstorben. Mit ihm ist ein Mann abberufen worden, der viele Jahre in Treue für das Fleischergewerbe, aber auch für andere Vereinsbestrebungen rastlos tätig war. Im Jahre 1880 gründete er sein Geschäft Ecke Schul- und Schubertstraße, um 3 Jahre später das Rannefeldsche Grundstück an der Schubertstraße zu erwerben, worin seine Fleischerei zu einem Großbetriebe ausgestaltet wurde. In weitesten Kreisen hochgeachtet, hat der Verstorbene verschiedene Vertrauens- und Ehrenämter verwaltet, 25 Jahre stand er der Fleischerinnung als Obermeister vor. Als Mitglied des Schulausschußes der Fleischerfachschule Grüna und als Mitgründer der Häuteverwertungsgenossenschaft Grünau und Umgegend, fand er Gelegenheit sich erfolgreich zu betätigen. Das Vertrauen seiner Mitbürger berief ihn auch ins Stadtverordnetenkollegium, dem er mehrere Jahre hindurch angehörte. Weite Kreise werden durch den Tod dieses bewährten Mannes schmerzlich berührt.