Historische Rückblicke aus dem Stadtarchiv
Vor 100 Jahren ... (August 1920) Auszüge aus dem Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
70. Jahrgang (1920) (Rechtschreibung im Original)
10. August 1920
Feueralarm weckte vergangene Nacht gegen 1 Uhr die Bewohner unserer Stadt aus dem Schlafe. Es brannte die dem Kroatenweg 2 wohnhaften Weber Wilhelm Köhler gehörige Gartenlaube. Als Entstehungsursache ist anzunehmen, daß die in einer Tonne, in der R. am Nachmittag Heringe geräuchert hatte, befindlichen Sägespäne noch geglimmt und das Faß und damit die Laube in Brand gesetzt habe. R. vermutet Brandstiftung aus Rache, vermag einen bestimmten Verdacht jedoch nicht auszusprechen. Die nicht versicherte Laube stand 30 Meter von den Gebäuden entfernt, sodaß die Gefahr des Uebergreifens nicht vorlag. An der Brandfläche war die 2. Kompanie der Freiw. Feuerwehr tätig.
11. August 1920
Raubüberfall und Mord im Berggasthaus
Die Kunde von einem Mord durcheilt seit den frühen Morgenstunden des heutigen Tages unsere Stadt und setzte alle Gemüter in Aufregung. Leider hat sie sich bewahrheitet: ein um die Stadt hochverdienter Mitbürger, Herr Musterzeichnereibesitzer H. H. Ebersbach, fiel der Kugel eines feigen Raubgesellen zum Opfer. Nach der amtlichen Darstellung hat sich der traurige Vorfall folgendermaßen zugetragen; Herr Ebersbach befand sich gestern abend mit vier anderen Herren aus der Stadt und dem Bergwirt im unteren Gastzimmer des Berghauses beim Kartenspiel, als durch die von der Terrasse raus hereinführende Glastür vier maskierte mit Revolvern bewaffnete Männer eindrangen. Einer von ihnen rief „ruhig sein“! worauf E. aufgestanden und nachdem Spazierstock gegriffen haben soll. Der Räuber schoß sofort auf E., der, in Brust und Kopf getroffen, zusammenbrach. Eine Kugel hat die Brust von rechts nach links durchquert und den linken Arm durchbohrt, der Einschuß der anderen ist dicht über dem Auge, der Ausschuß an der Stirnseite. Danach verließen die Räuber, von denen zwei an der Tür stehen geblieben, die beiden anderen ins Zimmer gekommen waren, unter weiteren Schüssen fluchtartig das Haus in der Richtung nach dem Meinsdorfer Weg zu. Eine Beschreibung können die übrigen Anwesenden in Folge der Aufregung nicht geben, doch sind schon von ½ 9 bis 9 Uhr vier 25-30jährige Männer im Gastzimmer gewesen, die vielleicht mit der Bande in Verbindung zu bringen sind. Am Tatort wurden zwei Patronenhülsen einer Armeepistole und eine schwarze Tuchmaske, auf der Terrasse eine Browning- und ein Trommelrevolver geladen, und noch eine Patronenhülse, und auf dem Verbindungswege vom Berghaus nach dem Meinsdorfer Weg eine blaue Schirmmütze, ein gelber Spazierstock mit gebogenen Griff und eine weitere Tuchmaske gefunden. Der ganzen Anlage der Tat nach sind die Banditen Anfänger im Räuberwesen und stammen vielleicht von hier oder aus der Umgebung. Hoffentlich gelingt es dem vereinten Zusammenwirken von Polizei, Gendarmerie und Staatsanwaltschaft, sie zu ermitteln und der verdienten Strafe zuzuführen. Herr Ebersbach ist leider an den schweren Verletzungen noch vor dem Eintreffen des sofort herbeigerufenen Herrn Dr. med Lange erlegen. Eine Würdigung seiner Persönlichkeit und seiner Verdienste um die Stadt lassen wir weiter unten folgen.
Heute vormittag trafen nun die telegraphisch herbeigerufenen Vertreter der Staatsanwaltschaft Zwickau ein, die zusammen mit den hiesigen Gerichts- und Polizeibehörden den Tatbestand ermitteln und die Zeugenwahrnehmung vornehmen; zur Verfolgung der Spuren sind Polizeihunde aus Penig tätig. Über das Ergebnis der Untersuchung und Vernehmung lässt sich heute natürlich noch nichts sagen.
14. August 1920
Mit einem Trauergefolge, so zahlreich, wie wohl selten bisher in unserer Stadt, wurde gestern nachmittag Herr Musterzeichnereibesitzer H. H. Ebersbach zu Grabe getragen. Turnerbund und Sängerverein mit ihren großen Fahnen eröffneten den schier endlosen Trauerzug, indem wir außer Mitgliedern aller Kreise unserer Stadt, denen der Verstorbene irgendwie nahestand, auch die Vertreter des Erzgebirgs-Hauptvereins und des Sächsischen Verkehrsverbandes bemerkten. In der Sprechhalle des Altstädter Friedhofes, die die große Zahl der Leidtragenden nicht zu fassen vermochte, erwartete Herr Pfarrer Dr. Albrecht den Trauerzug und hielt dann auf Grund des Schriftwortes Klagelieder Jeremig 3,37: „Wer darf denn sagen, daß solches geschehe ohne des Herrn Befehl „die Trauerrede, in der er u.a. ausführte: „Ihm der seine Frau so heiß liebte, war es nicht vergönnt, von ihr Abschied zu nehmen; auf dem Berghaus, das seine zweite Heimat war, starb er in den Armen des Freundes.
Wir alle, die wir ihn kannten mit seinen Ecken und Kanten, seinen Mängeln und Fehlern, haben ihm trotzdem liebgehabt, denn wenn auch die Schale rauh war, der Kern war gut. Er war ein gerader, offener Mann, der seine Ueberzeugung nie verleugnete. Er hatte ein tiefes Gemüt und ein weiches Herz, besonders für Arme und Unglückliche. Schweigen will ich von dem, was ihm die Vereine verdanken, nicht schweigen aber kann ich von dem was er für seine Vaterstadt als langjähriges Mitglied des Stadtverordnetenkollegiums und als Stadtrat getan hat. Zielbewusst und überzeugt von dem, was er tat, trat er für sein Amt ein. Viele Opfer an Zeit, Kraft und Geld hat er für seinen Berg gebracht, und vieles getan zur Hebung der Stadt und des Fremdenverkehrs. Er war bereit zur Hilfe jederzeit und stellte sich selbstlos in den Dienst der Allgemeinheit. Er liebte alles Gute und Schöne, hatte Liebe zur Natur und war auch ein gottbegnadeter Künstler. Von heißer Liebe war er auch für sein Vaterland beseelt, dessen Zusammenbruch wohl selten jemand so tief gefühlt hat wie er. Mit Worten des Trostes an die Angehörigen, vor allen an die tiefgebeugte Witwe, und Segen schloß der Geistliche die tiefempfundene Rede. Im Namen und Auftrag des Sächsischen Verkehrsverbandes rief sodann Herr Oberlehrer Großer-Leipzig dem Verstorbenen ein Letztes „Habe Dank“ und Ruhe sanft“ nach und gab dabei Hoffnung Ausdruck, die schändliche Tat möchte weiten Kreisen unseres Volkes die Augen öffnen über den Weg, auf dem sie sich befinden und sie zur Umkehr bringen, ehe es zu spät sei. Gemeinsamer Gesang und Harmoniumspiel eröffnete und schloß die Feier, die auf alle einen tiefen Eindruck gemacht haben wird. Und dann trug man das, was an Hermann Heinrich Ebersbach sterblich war, hinaus auf die Höhe unseres Friedhofes und senkte es, hinab in die Gruft seiner Familie, wo er nun ruht unter einer Fülle der schönsten Blumen, die er so geliebt hat. Hier rief ihm Herr Stadtrat Schneider als Vertreter des Bürgermeisters und der Stadtverwaltung den Dank der Stadt in bewegten Worten nach. Dann entfernte sich nach und nach die Trauergemeinde erfüllt, von tiefem Weh über das Schicksal, das einen unserer besten Mitbürger so rauh aus unserer Mitte gerissen hat.
21. August 1920
Dreißig Jahre ist es nun her, daß das Bethlehemstift im Hüttengrunde besteht. In ein paar gemieteten Räumen des Gasthofes „Heiterer Blick“ wurde der Anfang mit diesem Werke der Nächstenliebe gemacht. Erholungsbedürftige Kinder aus allen Kreisen und Teilen Sachsens sind dort gepflegt worden. Etwa 18000 haben bis jetzt diese Wohltat genossen, die meisten mit gutem, ja sehr viele mit auffallend günstigem Erfolge. Auch während des Krieges ist die Pflege fortgegangen, so sehr sie immer mehr erschwert wurde. Dann erstand daneben das Frauengenesungsheim. Bis zum Jahre 1914 sind dort über 5000 Frauen, ebenfalls ohne Unterschied des Standes und aus ganz Sachsen aufgenommen wurden. Seit dem Kriege mußten aber seine Türen verschlossen bleiben. Die sonst übliche Jahresfeier der Anstalten mußte seitdem ausfallen. Nun soll endlich wieder eine solche stattfinden, und zwar am 26. d. M. 1/43 Uhr. Jedermann ist dabei willkommen. In steigendem Maße haben sich unter den Stiftlern Kinder unserer Stadt befunden, wie auch schon zwei Stiftungen von Freistellen und Wohltätern unserer Stadt errichtet worden sind. Im laufenden Jahre werden es etwa 30 sein.
26. August 1920
Durch anderweitige Verwendung der Räume im Waisenhaus hat sich die Verlegung der Volksbücherei nach dem Reinhardthaus*1, Altmarkt, Zimmer Nr. 3, nötig gemacht. Geöffnet ist dieselbe, wie aus der heutigen amtlichen Bekanntmachung hervorgeht, Montags von 5-7 Uhr abends.
*1 heute: Stadthaus (Stadtverwaltung)