Historische Rückblicke aus dem Stadtarchiv
Vor 100 Jahren ... (November 1920) Auszüge aus dem Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
70. Jahrgang (1920) (Rechtschreibung im Original)
9. November 1920
Herr Photograph Zienert, hier Zillplatz, Sohn des Herrn Wachtmeister Zienert, hat vor der Gewerbekammer Chemnitz vor wenigen Tagen die Meisterprüfung mit gutem Erfolg bestanden.
Zu einer schönen Feier gestaltet sich der gestrige Abend, den der hiesige Sängerverein im Schützenhaus zum Gedenken an sein 94jähriges Bestehen abhielt. Nach einem einleitenden Bundeslied ergriff der Vorsteher des Vereins, Herr Spitzner, das Wort zu einem herzlichen Willkommensgruß an alle Anwesenden. Des Weiteren entledigte er sich der angenehmen Aufgabe, drei anwesenden Mitgliedern, die dem Verein 40 bzw. 36 Jahre angehören – es sind dies die Herren Held, Welker und Vogel – die besten Wünsche zu entbieten, mit der herzlichen Bitte, dem Verein auch weiter die alte Treue zu bewahren. Herr Schmidt jr. bot einige Solovorträge, die sehr beifällig angenommen wurden. Die Sängerschar legte auch Zeugnis davon ab, daß nur durch vieles Arbeiten etwas gutes geleistet werden kann.
12. November 1920
Ein Selbstmord hat sich in der vergangenen Nacht in dem Hause Chemnitzer Straße* 5 zugetragen. Dort hat sich die im Jahre 1901 in Neuölsnitz geborene Textilarbeiterin Elsa Rosa Schneider, Neumarkt 13 wohnhaft, in der Stube ihres dort als Untermieter wohnenden Bruders Paul Bruno Schneider durch Einatmen von Leuchtgas vergiftet und wurde heute früh tot im Bette liegend vorgefunden. Wie aus einem Briefe an ihren Geliebten hervorgeht, dürfte Schwermut die Bedauernswerte zu dem Schritte getrieben haben.
15. November 1920
Man begann sofort mit Erdbewegungen, um die Straße herzustellen, die als Verbindungsweg von der Wüstenbrander Straße gedacht ist. Von der ursprünglich mit heller Begeisterung in Aussicht genommenen Lehmbauweise ist man nun doch noch abgekommen. Bebaut wird vorerst der am östlichsten gelegenen Geländestreifen (gegenüber der Geyerschen Ziegelei), auf dem bereits eine Anzahl Häuser abgesteckt sind, man will zunächst deren acht Stück bauen. Wenn die Witterung es gestattet, sollen noch dieses Jahr die Wegeherstellung und Einzäunung des gesamten Geländes bewerkstelligt werden.
Ein altersgrauer Zeuge aus der Frühzeit unserer Industrie ist in diesen Tagen verschwunden: Das Lufttrockenhaus der ehemaligen oberen Bleiche (vorm. Herrmansches, jetzt Bohne´sches Grundstück) an der Herrmannstraße, ein großer Holzbau, wurde abgebrochen. Es war das letzte seiner Art in hiesiger Stadt. Ein Bild von ihm wird im Stadtmuseum seinen Platz finden. An die Bleicherei erinnert künftig nur noch der Name des vorüberführenden Gäßchens nach dem früheren Bleichplane heißt es „Am Plan“.
Reges Leben herrschte am Sonnabend nachmittag auf dem an der nach Wüstenbrand führenden Straße gelegenen Bauplatze der Siedlungsgenossenschaft „Eigenheim“. Dort trat in Gegenwart einer Anzahl beteiligter Genossen der vom Verein bestellte Bauleiter Herr Baumeister Louis Richter, von dem auch der Plan zu den Siedlungsbauten entworfen worden ist, den ersten Spatenstich. Herr Richter führte dabei aus, daß es ihm eine persönliche Freude sei, deutschen Arbeitern zur Herstellung eines eigenen Heims behilflich zu sein. Er erbitte den Segen zum Gelingen des Werkes von dem, ohne dem nichts gelänge. Doch sei auch äußerst tätige Mithilfe seitens der beteiligten Siedler dringend von Nöten, ohne die die Erreichung des Zieles schlechthin undenkbar sei. Nach der kurzen Ansprache, die auf alle tiefen Eindruck machte, entwickelte sich gar bald eine frohe Tätigkeit der Siedler mit Hacke, Schaufel und Karren.
19. November 1920
Aus Anlaß der heutigen Eröffnung der Autolinie Lichtenstein- C.-Hohenstein-Ernstthal-Waldenburg trägt das Rathaus Flaggenschmuck in den sächsischen Farben.
26. November 1920
Ein für das geistige Leben unserer Stadt und Umgebung nicht bedeutungsloser Mann ist mit Bildhauer Emil Mende davongegangen. Aus seiner Hand ist manches Grabdenkmal unserer Friedhöfe, sind u.a. auch die Figuren Luthers und Melanchthons an der Turmfassade der Hohndorfer Kirche und der Brunnen in den Anlagen des Naturheilvereins hervorgegangen. Außer künstlerischen zeichneten noch anziehende menschliche Eigenschaften den Verewigten aus. Von einem selten zu findenden Drange nach Selbstbelehrung beseelt, eignete er sich umfangreiche Kenntnisse – namentlich auf dem Gebiet der Erdgeschichte und der Gesteinskunde – an, die ihn zu einem der besten Kenner der bezüglichen Verhältnisse in hiesiger Stadt und ihrer Umgegend machten. Geologen und naturwissenschaftliche Lehrer auswärtiger höheren Schulen traten mit ihm in Verbindung, mit Wort, Schrift, Meißel- und Zeichenstift war er bestrebt, den obigen Zweig der Heimatkunde zu fördern, eine große Sammlung von heimischen Gesteinen und Erzen wurde von ihm und dem Privatmann Drescher zusammengetragen und der Neustädter Schule geschenkt. Als bereits kranker Mann stellte er sich in den Dienst der auf die Wiederbelebung unseres heimischen Erzbergbaus gerichteten Bestrebungen. Das Stadtmuseum wurde durch Werke seiner Hand sowie durch mineralogische Spenden von ihm bereichert. Aufklärung und Auskunft aus den ihm vertrauten wissenschaftlichen Gebieten wurden jedem, der sie erbat, bereitwillig und ausgiebig von ihm zuteil. Das Andenken dieses berufssüchtigen, aber auch auf seine geistige Vervollkommnung und auf die Förderung seiner Mitmenschen bedacht gewesenen Mannes, trägt nur sympathische Züge. Man wird sich seiner noch lange schmerzlich erinnern.
* Chemnitzer Straße: heute Pölitzstraße